Vom River Hamble zu den Isles of Scilly
Segelausbildung im Gezeitenrevier des englischen Kanals
Von Dr. Holmer Vogel, Bornheim.
Samstag, 12. Mai! Es ist noch früh im Jahr! Nach einer katastrophalen Anreise mit der Annullierung meines Fluges von Düsseldorf nach Southampton am Freitagabend, einem Ersatzflug am Samstagmorgen um 07.20 Uhr nach Birmingham mit anschließendem Bustransfer nach Southampton saß ich endlich um die Mittagszeit leicht gerädert auf der Terrasse der Banana Wharf in der Port Hamble Marina und schaute bei strahlendem Sonnenschein auf den River Hamble. Der River Hamble mündet südlich von Southampton in das Southampton Water, über das man unmittelbar den Solent, das Segel – Mekka an Englands Südküste, erreicht.
Etwas unterhalb von mir lag an einem Schwimmsteg eine nicht mehr ganz taufrische Bavaria 50 mit dem schönen Namen Lily of Hamble, die nach der strengen englischen MCA Norm Category 0 für den weltweiten gewerblichen Einsatz zugelassen war. Entsprechend umfangreich war sie ausgestattet.
Ich nahm mit vier Mitseglern auf der Lily of Hamble an einem Segeltörn zu den Isles of Scilly teil, der hier nur seinen Ausgang nahm. Die Isles of Scilly sind eine Gruppe von mehr als 140 Inseln und über 90 Felsen vor der Südwestspitze Englands. Sie liegen etwa 45 km südwestlich von Land’s End im Atlantik, nahe dem westlichen Ende des Ärmelkanals. Von den etwa 55 größeren Inseln sind heute nur fünf bewohnt. Von den zahlreichen Urlaubern abgesehen leben heute hier etwa 2.300 Einwohner.
Der Törn wurde von Die Yacht-Skipper Akademie UK Ltd veranstaltet. Sie gehört zu einer deutsch – englischen Segelschule, die ihre deutsche Basis in Essen hat, und die Praxiskurse vom River Hamble aus durchführt. Dieser Törn ist eingebettet in eine ganze Reihe von Trainings, deren Fokus auf der Ausbildung zum Yacht-Skipper liegt. Gleichzeitig werden Kenntnisse zum Erwerb der englischen Certificates of Competence als RYA Yachtmaster Offshore bzw. Ocean vermittelt. Schwerpunkt dieses Törns ist die Passagen-Planung in Gezeitenrevieren und ein Gezeitentraining im wohl anspruchsvollsten Tidenrevier zwischen dem englischen Solent, den französischen Kanalinseln und dem Westausgang des englischen Kanals. Der Englische Kanal ist in seiner Vielfältigkeit kaum zu schlagen. Im Osten die Dover Strait als eine der meistbefahrensten Schifffahrtswege weltweilt bis zu den Isles of Scilly im Westen mit Palmengärten, Sandstränden und kristallklarem Wasser! Schnell ziehende Wettersysteme, die berühmt berüchtigte Nebelhäufigkeit und Gezeitenphänomene an jedem Kap! Im Gebiet der Kanalinseln treten extreme Gezeitenwerte von über 10 Metern Tidenhub und bis zu 10 Knoten Strömung auf. Auf unserem Weg befinden sich zudem die Verkehrstrennungsgebiete Off Casquets TSS und Off Land´s End TSS.
Wer das Certificate of Competence als RYA Yachtmaster Offshore erwerben möchte, muss eine Reihe von praktischen Voraussetzungen erfüllen. Unter anderem sind 5 Passagen mit mehr als 60 Seemeilen nachzuweisen, davon 2 mit Nachtfahrten und 2 als Skipper. Von diesen 5 Passagen müssen 3 Passagen, davon eine als Nachtfahrt und eine als Skipper, in Gezeitenrevieren stattgefunden haben. Im Übrigen hat jeder Prüfungskandidat dem Prüfer eine ausgearbeitete Hausaufgabe zu einer Passagen-Planung vorzulegen, die ihm kurz vor der Prüfung bekannt gegeben wird. Diese ist dem Prüfer am Prüfungstag in einem mündlichen Gespräch – in englischer Sprache natürlich - vorzustellen. Insofern bot dieser Törn auch Gelegenheit, einen Teil dieser Voraussetzungen in theoretischer und praktischer Hinsicht zu erfüllen.
Meine Interessen und die meiner Mitsegler Clemens, Jo, Sebastian und Bert waren unterschiedlich verteilt. Einige wollten nur Erfahrung sammeln und andere bereiteten sich auf das RYA Yachtmaster Offshore Examen vor.
Unser Törn startete mit einem Workshop an Bord, in dem unser Skipper Bernd die Grundzüge einer Passagen–Planung griffig darstellte. Jeder von uns erhielt hierzu als Lehrmaterial ein einlaminiertes Merkblatt mit den wichtigsten Aspekten, die eine solche Planung abzudecken hat. Danach sollte eine Passagen-Planung mindestens folgende Aspekte berücksichtigen:
Ausrüstung und Zustand der Yacht
Crew (Wachplan, Essen, Wasser, Notrationen, Kochen, Reinigungsdienst, vorhandene Kenntnisse u.a.)
Standing Orders
Navigation (Gezeiten, Route, Wegpunkte, Steuerkurse, Karten, Almanach u.a.)
Wetter (Vorhersage, Aktualisierung unterwegs)
Nothäfen
Gefahrenstellen (Felsen, Untiefen, Schifffahrtsrouten, Gefahrengebiete u.a.)
Ansteuerungen (Pilotage)
Zoll (Einklarieren, Reisepässe, Flaggen, Visa u.a.)
Vorräte (Diesel, Ersatzteile).
Alle diese Punkte können noch weiter unterteilt werden und je nach Törn mehr oder weniger bedeutsam sein. Es liegt letztlich in der Verantwortung des Skippers, die notwendigen Aspekte in gehöriger Weise hervorzuheben und zu berücksichtigen und die weniger relevanten zurückzusetzen.
Mit dem Begriff „Standing Orders“ soll lediglich darauf hingewiesen werden, dass ein Skipper eine Anweisung gibt, die ständig Beachtung finden soll, z.B. die Anweisung, über jede Schiffsbewegung informiert zu werden, die zu einer Annäherung von weniger als zwei Seemeilen führt.
Nach britischem Verständnis ändern sich in der Phase der Annäherung z.B. an einen Hafen die Navigationstechniken, die unter dem Begriff „pilotage“ zusammengefasst werden. Ziel ist es, einen Plan zu entwickeln und umzusetzen, um z.B. ein Schiff sicher an seinen Liegeplatz zu manövrieren. Als Skipper sollte man den Plan präsent haben, Führung an Deck zeigen und nicht ständig zwischen Cockpit und Kartentisch hin- und her pendeln. Im Zweifel enthält ein handschriftlicher Spickzettel alle notwendigen Informationen, wie z.B. Strömungsverhältnisse, zu erwartende Wassertiefen, Lichterführungen, Peilobjekte, Tonnen, Kursangaben zu Wegmarken etc.
Unser Skipper Bernd teilte unseren Törn zu den Isles of Scilly in 5 Passagen auf, so dass jeder von uns eine Passage verantwortlich vorzubereiten und dann auch als Tagesskipper durchzuführen hatte. Der Tagesskipper hatte hier auch, die Crew über die jeweilige Passage vorab ausreichend zu informieren. Wir haben dieses Crew-Briefing in der Regel noch nach dem Abendessen oder kurz vor Beginn der Etappe durchgeführt. Da dieser Törn als Übungstörn konzipiert war, stand keiner alleine. Manches wurde bei Wahrung der Verantwortlichkeit für die jeweilige Etappe in Gruppen erarbeitet und unser Skipper Bernd stand als kompetente Auskunftsperson jederzeit mit Rat zur Verfügung. Die notwendigen Unterlagen in Form von Seekarten, Strom-Atlanten, Reeds Nautical Almanac und Handbüchern waren an Bord vorhanden. Zudem war die Lily of Hamble unter anderem – soweit für unseren Törn von praktischer Bedeutung - mit GPS-Kartenplotter, Radar, UKW-Funk und AIS-Sender/Empfänger ausgerüstet. Gleichwohl waren natürlich auch die für die terrestrische Navigation unentbehrlichen Handwerkzeuge wie Kursplotter, Fernglas, Zirkel, Bleistift mit Spitzer und Radiergummi sowie Handpeilkompass an Bord. Sogar je eine aktuelle Deviationstabelle für die Kompasse an beiden Steuerständen war vorhanden.
Nach entsprechender Planung der ersten beiden Passagen übernahm zunächst Bert als Tagesskipper die Verantwortung für die Nachfahrt zu den französischen Kanalinseln. Unser Ziel war Braye Habour auf Alderney. Wir legten noch am Samstag um 17.00 Uhr mit ablaufendem Wasser ab. Damit entfiel der von mir erhoffte gemütliche Abend in dem nur wenige Fußminuten von der Marina liegenden malerischen Dorf Hamble-le-Rice mit seinen einladenden Pubs und Restaurants. Der Wind sollte aus nordwestlicher Richtung mit 2 bis 3 Bft. wehen. Die Wetterlage war durch ein sich entwickelndes Hochdruckgebiet über den britischen Inseln gekennzeichnet. Angesichts seines Charakters als Ausbildungstörn sah unser Wachplan eine Besonderheit vor. Zu einer Wache gehörten drei Personen, die folgende Positionen zu besetzen hatten: Rudergänger, Navigation, elektronische Navigation (Plotter, AIS, Radar). Stündlich wechselten wir von einer Position auf die nächste, so dass jeder Teilnehmer in alle Funktionen aktiv eingebunden war und anschließend zwei Stunden Freiwache hatte. Dieses Wachsystem hielten wir von an Anfang an konsequent ein. Es gewährleistete, dass jeder von uns in jedem dieser Arbeitsgebiete praktische Erfahrungen sammeln konnte. Dies beinhaltete u.a. auch die Eingabe von Wegpunkten und das Aktivieren einer Route.
Das ablaufende Wasser zog uns jetzt aus dem River Hamble in den Solent hinein. Dort warteten das Southampton Water, der Thorn Channel und die precautionary Area im zentralen Solent auf uns, in der sich die Berufsschifffahrt bewegt.
Der Solent ist berühmt und berüchtigt wegen seiner gewaltigen Gezeitenströme. Zur Springzeit läuft der Gezeitenstrom vor Cowes mit 3,8 Knoten. Im Needles Channel am Westausgang des Solents wird das Wasser zur Springzeit sogar mit 4,4 Knoten herausgedrückt. Zur Springzeit beträgt der mittlere Tidenhub hier ca, 4,0 Meter. Da die Tidenkurven hier komplexe Muster aufweisen, werden in dieser Gegend alle Tidenberechnungen nicht auf Hochwasser, sondern auf das Niedrigwasser bezogen. Zudem trifft man im Solent in großem Maße berufliche Schifffahrt von und nach Southampton an. In der Mitte des Solents befindet sich die trockenfallende Bramble Bank, auf der sich schon prominente Mitglieder der Seglergemeinde festgefahren haben. Alles in allem ist dieses Segelrevier in höchstem Maße anspruchsvoll.
Wir wollten den Solent über den Needles Channel im Westen verlassen und mussten uns mit dieser Verkehrssituation auseinandersetzen, zumal von Southampton kommend ein sehr großes Containerschiff hinter uns zügig aufkam. Aufgrund der beengten Verhältnisse galten hier über die Regel 9 der Kollisionsverhütungsregeln (KVR) hinaus spezielle Verkehrsregeln für große Fahrzeuge mit einer Länge über alles (Lüa) von über 150 m. Diese umgibt in der precautionary Area für Sportboote unter 20 m Lüa eine Verbotszone (Moving Prohibited Zone, MPZ).
Die angesprochenen Sportboote dürfen danach einen Bereich von 1000 m vor dem Bug und von 100 m zu jeder Seite des geschützten Fahrzeuges nicht befahren.
Diesem MPZ – Fahrzeug fährt normalerweise ein Fahrzeug der Hafenverwaltung voraus, dass durch die Aufschrift Harbour Master und nachts durch ein blaues Funkellicht gekennzeichnet ist. Große Tankschiffe von und zu den Ölterminals von Fawley werden am Heck durch einen Schlepper begleitet, der durch eine Stahltrosse mit dem Tankschiff verbunden ist und dafür sorgt, dass diese Schiffe die „Kurve kriegen“. Hier gilt es insbesondere nachts, besonders aufmerksam zu navigieren. Wir hielten uns vorsorglich knapp außerhalb des Fahrwassers auf dessen östlicher Seite und querten den Thorn Channel nach Passieren des Containerschiffes an der Westkardinaltonne Bramble.
Auf unserer Backbordseite mussten wir auf die zahlreichen Fishing Pots sowie die trockenfallende Bramble Bank aufpassen. Gegen 19.00 Uhr passierten wir Hurst Point. Hier presste uns der Gezeitenstrom jetzt mit 3,7 Kn durch den Needles Channel. Über Grund bewegten wir uns mit 9,7 Kn in Zielrichtung. Stehen hier Wind mit mehr als 5 Bft. zur Springzeit gegen den Strom, wird diese Stelle unpassierbar. Aufgrund einer stark ansteigenden Unterwasserschwelle erhebt sich dann hier eine steile Wasserwand, die für Sportboote äußerst gefährlich ist. Ortskundige mögen sich dann noch durch den North Channel unterhalb der Küste von Keyhaven wagen.
Von der Ansteuerungstonne zum Needles Channel ließ Bert unseren Generalkurs am Steuerkompass von 208 Grad auf Braye absetzen. Der unmittelbare Kurs über Grund nach Braye betrug bei einer Distanz durch das Wasser von ca. 60 sm dagegen nur 201 Grad. In die Berechnung des Steuerkurses ließen wir ganz klassisch die Missweisung, die Ablenkung und die Beschickungen für Wind und Strom eingehen. Das Besondere an dieser Kalkulation war die Ermittlung der Stromwirkung, denn der Strom läuft zwischen der Isle of Wight und Alderney vereinfacht grundsätzlich bei jeweils einer Stunde Stillwasser 5 Stunden in östlicher und dann 5 Stunden in westlicher Richtung. Bei der Distanz durch das Wasser und einer angenommenen Fahrt durch das Wasser ergibt sich die voraussichtliche Fahrtdauer, für die bei diesem Strömungsmuster der Netto-Vektor der Strömungswirkung zu ermitteln ist.
Hierzu können je nach kalkuliertem Fahrtfortschritt aus dem Stromatlas die jeweiligen Stundenwerte entnommen und zu einem Netto-Vektor addiert werden. Bei einer Distanz durch das Wasser von 60 sm und einer Fahrt durch das Wasser von 5 bis 6 Knoten war der Netto-Vektor bei diesem Strömungsmuster nicht sehr groß.
Zu beachten war aber, dass bei dieser Vorgehensweise der tatsächliche Kurs über Grund wie eine Sinuskurve (5 Stunden Versatz nach Osten, 5 Stunden Versatz nach Westen) um den ermittelten Kartenkurs schwingen würde. Diese Schwingungsamplitude ist von erheblicher navigatorischer Bedeutung, wenn links und / oder rechts des ermittelten Kartenkurses Gefahrenstellen lauern. Dieses gilt es in jedem Fall navigatorisch zu beachten. Im Übrigen empfiehlt es sich, im Zweifel einen Punkt in Stromluv anzusteuern, denn mit der Tide ist es deutlicher einfacher das Endziel zu erreichen als gegen die Tide.
Wer dagegen über den GPS – Plotter oder terrestrisch über ein jeweiliges Stundendreieck versucht, unmittelbar den Kartenkurs auch durch das Wasser zusteuern, wird einen erheblich längeren Weg durch das Wasser zurücklegen und deutlich später sein Ziel erreichen, weil er ständig die Stromwirkung aussteuert, anstatt mit dem Strom zu schwingen.
So vorbereitet machten wir uns auf den Weg in die Nacht. Unser Skipper hatte uns als Standing Order aufgegeben, den Kurs stündlich mit zu koppeln und in die Seekarte einzutragen. Es ist ein verbreitetes Missverständnis, dass der sog. Koppelort ein Standort ist. Tatsächlich können eine Reihe von Ungenauigkeiten (z.B. Steuerungenauigkeit, abweichende Strömungsverhältnisse) dazu führen, dass der tatsächliche Standort vom Koppelort abweicht. Es ist daher besser, einen möglichen Fehlerradius um den Koppelort zu definieren.
Wir hatten uns darauf verständigt, diesen Fehlerradius mit 10 % der versegelten Distanz vom letzten wahren Ort anzunehmen. Von Stunde zu Stunde wurde der Fehlerkreis damit absolut betrachtet natürlich größer und größer. Gleichzeitig bestand die Anweisung, für die jeweiligen Stunden den GPS – Standort ebenfalls in die Seekarte einzutragen.
Aus dem Vergleich konnten wir somit unsere Schlussfolgerungen ziehen. Kurz vor Alderney haben wir durch eine Kreuzpeilung der Leuchttürme von Alderney und den Casquets terrestrisch noch einen wahren Standort ermittelt. Um 07.00 Uhr erreichten wir schließlich unseren Zielhafen Braye auf Alderney und legten uns an eine Gastmooring. Wir waren mit unserer navigatorischen Arbeit äußerst zufrieden, lagen doch GPS – Position und terrestrisch ermittelter (Koppel-) Standort regelmäßig nicht weit auseinander.
Mit anderen Worten, wir wären auch ohne GPS sicher nach Alderney gekommen.
Uns hat dieses Erlebnis jedenfalls einen riesigen Spaß bereitet und gleichzeitig auch verdeutlicht, was elektronische Seekarten, die auf Sportbooten eingesetzt werden, sind oder auch gerade nicht sind. Elektronische Navigation hat sicherlich die See sicherer gemacht und auch den Adrenalinausstoß verringert, der bei rein terrestrischer Navigation spürbar ist, aber sie ist kein Ersatz dafür. Wer seinen GPS – Plotter einschaltet, findet als erstes nicht umsonst den Warnhinweis, dass der Plotter nur als Ergänzung zu den offiziellen Papierseekarten zu benutzen ist. Für die Berufsschifffahrt hingegen hat die IMO (International Maritime Organisation) die Mindestanforderungen an das Bordgerät genormt, das die Darstellung der Seekartendaten realisiert und die darauf aufbauenden Navigationsfunktionen unterstützt. Dieses Navigationsgerät hat den Namen „Electronic Chart Display and Information System“, kurz ECDIS, erhalten.
Die RYA fordert daher beim Einsatz elektronischer Navigationsmittel in der Sportschifffahrt, die Position durch eine andere Quelle (Kreuzpeilung, Tiefenlinie o.ä.) zu bestätigen und die Position regelmäßig in der Papierseekarte und dem Logbuch aufzuzeichnen. Dies ist vielleicht auch der Grund, warum die RYA in ihren Prüfungen, insbesondere zum Yachtmaster Offshore, soviel Wert auf die Beherrschung der terrestrischen Navigationstechniken legt.
Braye auf Alderney ist ein Allwetterhafen und bei jedem Tidenstand erreichbar. Alderney markiert zugleich den westlichen Punkt des berüchtigten Alderney Races, durch das gewaltige Wassermassen in die und aus der Bucht von St. Malo fließen. Man hat hier hervorragende Gastmoorings und einen exzellenten Service der Wassertaxis. Braye ist zudem ein sog. Port of Entry, denn die Kanalinseln gehören weder zum United Kingdom noch zur Europäischen Union, sondern regieren sich selbst und sind als Kronbesitz direkt der britischen Krone unterstellt. Dennoch gilt ein Teil des EU-Rechts auf den Inseln sowie auch das Zollrecht der Europäischen Zollunion. Wir mussten daher ganz formell einklarieren.
Zur Belohnung hatte unser Skipper bereits vorab in einem Hotel mit Blick auf Hafen und Meer eine Tafel reserviert. Auf der Außenterrasse genossen wir bei herrlichem Sonnenschein und frischem Wind unsere Lobster und sonstigen Krustentiere. So macht Segeln Spaß!
Um 17.00 Uhr legten wir schon zur nächsten Nachfahrt ab. Tagesskipper war jetzt Clemens. Es sollte nunmehr zurück zur englischen Küste nach Salcombe gehen. Das Hochdruckgebiet hatte sich stabil endwickelt. Für die nächsten Tage rechneten wir daher mit Sonnenschein und stabilem Wind aus Osten. Für heute und morgen sagte der Wetterbericht östlichen Wind mit 5 bis 6 Bft. voraus.
Diesmal ließen wir das Verkehrstrennungsgebiet Off Casquets TSS auf unserer Steuerbordseite liegen. Die Verkehrsdichte, die natürlich auch vor oder nach dem Verkehrstrennungsgebiet vorhanden ist, hat uns mehr als beeindruckt. Es entspricht nicht guter Seemannschaft, das Verkehrstrennungsgebiet genau an der Einfahrt / Ausfahrt zu passieren. Wir wollten daher etwas Abstand hierzu wahren. Verkehrstrennungsgebiete trennen die gegenläufigen Verkehrsströme, um das Kollisionsrisiko zu verringern. Die beiden Einbahnwege waren jeweils 5 Seemeilen breit. Einschließlich der Trennzonen würde es also etwas dauern, bis wir diese Gefahrenstelle passiert hätten. Zunächst hatten wir mit Verkehr aus Westen und danach mit Verkehr aus Osten zu rechnen.
Dies machte uns die grundsätzliche Orientierung in der Nacht etwas einfacher. Außerhalb der Verkehrstrennungsgebiete gelten die normalen Verkehrsregeln der Kollisionsverhütungsregeln. Als segelndes Fahrzeug waren wir hier in sog. Nahbereichslagen im Zweifel immer das kurshaltepflichtige Fahrzeug. Nach Möglichkeit wollten wir es hierauf jedoch nicht ankommen lassen.
Wir wollten die Querung defensiv angehen und eine Annäherung von unter einer Seemeile vermeiden. Auf dieser Passage stand die intensive Beschäftigung mit Radar und AIS auf dem Übungsprogramm. Im Mittelpunkt der Betrachtung standen dabei das physische Üben mit den Funktionen der Gerätschaften, das Verstehen der Informationen CPA und TCPA sowie die Umsetzung dieser Informationen in die konkrete Navigation an Bord.
CPA und TCPA stehen dabei für „closest point of approach“ und „time to closest point of approach“. Gemeint ist mit CPA der Punkt der dichtesten Annäherung und mit TCPA die verbleibende Zeit bis zur dichtesten Annäherung. Diese Informationen erleichtern die Orientierung gerade nachts erheblich.
Um ein besseres Verständnis für den CPA zu gewinnen, durften wir mit dem VRM (variable range marker) und der EBL (electronic bearing line) auf dem Radarbildschirm ein nahes Echo im Dreiminutenabstand in Richtung und Entfernung peilen und die Ergebnisse zeichnerisch in ein Plottingsheet übertragen. Durch Verbindung der Peilpunkte im Plottingsheet zu einer Geraden und deren Verlängerung in Richtung unserer Schiffsposition ergab sich ein rechnerischer CPA, den wir wiederum mit dem elektronisch ermittelten CPA vergleichen konnten. Besonders hilfreich war für uns auch die Aktivierung der Funktion AIS-Vektor, der auf dem Bildschirm die voraussichtliche Kurslinie des anderen Fahrzeuges abbildet und so eine ziemlich gute Einschätzung der Verkehrslage ermöglicht. Die Kollisionsverhütungsregeln schreiben die notwendigen Reaktionen der Verkehrsteilnehmer vor. Wie erkennt man aber nun, ob und wie ein anderer Verkehrsteilnehmer auf seine Ausweichpflicht reagiert. Tagsüber ist es kaum zu erkennen.
Auch nachts wird man eine Kursbewegung anhand der Lichterführung kaum abschätzen können, denn eine typische Reaktion für ein Berufsschiff besteht häufig nur in einer kleinen Kursänderung von vielleicht fünf Grad. Dies ist mit dem Auge nicht wahrnehmbar. Die volle AIS – Information zeigte uns aber auch den Kurs des anderen Fahrzeuges an und ermöglichte uns so eine recht gute Einschätzung seiner Handlungen. Das AIS – Informationsfeld enthält u.a. auch den Namen und das Rufzeichen des anderen Fahrzeuges, so dass eine Abstimmung im Zweifel über UKW – Funk stattfinden kann. Einmal wurden auch wir von einem Berufsschiff angesprochen, um die Verkehrslage zu klären. Unsere Anspannung war angesichts der Verkehrsdichte enorm und wir waren erleichtert, als wir diese Verkehrsströme endlich passiert hatten. Und nicht nur unsere Anspannung! Auch unser Skipper Bernd war in dieser Phase der Passage ständig an Deck.
Der Wind kam mittlerweile konstant aus Osten. Ein entsprechender Seegang hatte sich entwickelt. In der Einfahrt nach Salcombe liegt eine Barre mit nur geringer Wassertiefe. Unser Skipper wollte angesichts dessen möglichen Problemen aus dem Weg gehen und fragte unseren Tagesskipper nach seinem Plan B in der Passagenplanung. Nach kurzer Beratung konnten wir Clemens Szenario für Plan B umsetzen und Brixham als Ausweichhafen ansteuern. Brixham ist unabhängig vom Tidenstand jederzeit zugänglich und zudem noch eine nette Stadt.
In den beiden folgenden Etappen führten Sebastian und ich die Lily of Hamble von Brixham nach Plymouth und von dort weiter nach Falmouth.
Nach zwei Nachfahrten war bei allen ein gewisses Schlafbedürfnis vorhanden. Die folgenden Passagen waren als Tagesetappen konzipiert, so dass wir unseren Schlafrückstand erst einmal ausgleichen konnten. Wer entlang Englands Küsten segelt, muss sich navigatorisch mit den besonderen Seegangverhältnissen an den verschiedenen Kaps auseinandersetzen. Am folgenden Tag führte uns unser Kurs bei herrlichem Sonnenschein mit Wind aus Osten in Stärke 4 bis 5 Bft. und Tidenstrom nach Westen in gehörigem Abstand sicher an den Kaps von Start Point und Prawle Point vorbei nach Plymouth. Der Seekarte konnten wir die entsprechenden Kartensymbole für die sog. Overfalls entnehmen. Bei unhandlichen Verhältnissen möchte ich hier nicht zur falschen Zeit am falschen Ort sein. Die Einfahrt in den Plymouth Sound war tagsüber nicht allzu kompliziert. Allerdings lag mittendrin der Plymouth Breakwater, an dem links und rechts die betonnten Fahrwasser des Eastern und des Western Channel vorbeiführten. Plymouth selbst beheimatet mit der HMNB Devonport die größte militärische Marine Basis Westeuropas, in der die Royal Navy zuhause ist. Entsprechend mussten wir immer mit Schiffsverkehr rechnen und daher Regel 9 der KVR über enge Fahrwasser sorgfältig beachten.Heute Mittag waren wir allerdings allein im Eastern Channel unterwegs und konnten bereits um 12.10 Uhr unsere Leinen im Plymouth Yacht Haven belegen. Nach einem kurzen Ausflug in die Altstadt von Plymouth tauchten wir abends für unser Dinner und ein Pint Bier in ein urgemütliches britisches Pub in unserem Ortsteil Clovelly ab.
Am anderen Morgen legten wir 2 Stunden vor Hochwasser Dover um 07.30 Uhr ab, um den Plymouth Sound diesmal durch den Western Channel mit dem Ziel Falmouth zu verlassen. Wir hatten gerade noch Stillwasser und wollten nach Verlassen des Plymouth Sounds die ganze Tide mitlaufenden Strom ausnutzen. Allerdings setzt hier der Strom nur sehr schwach. Selbst zur Springzeit erreicht er kaum einen Knoten Geschwindigkeit. Mit uns verlies eine Fregatte der Royal Navy den Sound, so dass wir wieder Regel 9 der KVR zu beachten hatten. Vor diesem Abschnitt der Küste liegen einige Schießgebiete der Royal Navy. Es dauerte nicht lange und wir hörten auf UKW die Ankündigung einer Schießübung. Allerdings war die Bezeichnung des Gebietes für unsere Ohren etwas gewöhnungsbedürftig. Sie sollte von 09.45 bis 11.45 Uhr beim Eddystone Lighthouse in einer Peilung von 110 Grad und einer Entfernung von 5 Seemeilen bei einer Range von 4,5 Seemeilen stattfinden. Nun ja, das war nicht unser Gebiet. Bei östlichem Wind um Stärke 5 erreichten wir nach ruhiger Fahrt bereits um 15.30 Uhr Falmouth.
Da wir am nächsten Tag bereits um 04.00 Uhr weiter zu den Isles of Scilly aufbrechen wollten, suchten wir uns im River Fal in der Bucht von St. Mawes für die Nacht einen Liegeplatz an einer Mooringtonne. Da nach Ansicht des Hafenmeisters diese Tonne für unser Schiff nicht stark genug war, durften wir das Mooringmanöver gleich noch einmal üben. St. Mawes ist ein malerischer Fleck, der in dem Kriminalroman „Mörder Ahoi“ von Agatha Christie mit Miss Marple und Mr. Stringer als Kulisse diente. Heute Abend wurde an Bord gekocht. Ein Crewmitglied erklärte sich bereit, ein Rote Beete – Risotto zu machen. Da bei mir rote Beete in der Beliebtheitsskala nicht weit oben stehen, war ich zwar grundsätzlich neugierig, aber doch auch sehr skeptisch. Ich gebe gerne zu, es schmeckte phantastisch und ich werde es in meine eigene Bordküche übernehmen. Wir waren uns einig; es fehlte nur noch der auf der Haut gebratene Zander. Im Übrigen war es ein ideales Bordgericht für unterwegs: sehr schmackhaft, frisch, schnell gemacht, wenig Töpfe!
Am vorletzten Tag unserer Reise war das Barometer stark im Sinkflug. Das Hochdruckgebiet wurde von einem aus Westen heranrückenden Tiefdruckgebiet belästigt. Noch hielt der Wind aus Osten, aber der Himmel zeigte schon typische Zeichen einer Aufgleitbewölkung. Unser erstes Ziel auf den Isles of Scilly war die Hauptinsel St. Mary´s. Aus einem Handbuch konnten wir die Information entnehmen, dass eine Ansteuerung nachts für Ortsunkundige nicht zu empfehlen ist. Bei schwerem Wetter sei das Segeln in diesem Bereich zudem extrem gefährlich.
Pünktlich waren wir am folgenden Tag um 04.00 Uhr auf Station, um unsere Leine von der Mooringtonne loszuwerfen. Gegen Mittag alarmierte der Ruf unseres Rudergängers Bert „Der Gennacker ist weg!“ unseren Skipper, der im Salon auf Standby vor sich hindöste. Wir waren zu diesem Zeitpunkt mit einer satten Backstagsbrise von Backbord unterwegs, als sich offensichtlich der Schäkel des Gennackerfalls öffnete. Auch ohne Gennacker machte Lily noch erhebliche Fahrt und zog den Gennacker an Steuerbord durch das Wasser. Irgendwie mussten wir die Fahrt aus dem Schiff bekommen, denn so war der Gennacker nicht aus dem Wasser zu bekommen. Ein Anluven in den Wind hätte das Problem gelöst, aber auch unseren Gennacker unter das Boot gezogen und das wollte unser Skipper partout nicht riskieren. Er fürchtete, der Gennacker könnte unser Ruderblatt und / oder unseren Saildrive blockieren. Aufgrund des erheblichen Drucks auf die Mastrutscher gelang es uns auch nicht, das Großsegel vor dem Wind komplett zu bergen. Mit der Freiwache an Deck gelang es uns schließlich nach bangen Minuten, das Monster in konzentriertem Zusammenwirken der gesamten Crew an Deck zu hieven.
Um 15.00 Uhr standen wir mit Ostwind der Stärke 5 Bft. in der Einsteuerung in den St. Mary´s Sound. Unser Tagesskipper hatte die Pilotage akribisch mit verschiedenen Peilungen und Steuerkursen vorbereitet und doch war der erste Eindruck für uns alle eher verwirrend. Die Einfahrt sollte über eine Transitlinie aus dem Nordende der kleinen Felseninsel Mincarlo und dem Westende von Great Minalto erfolgen. Aus der Entfernung und bei dem vorhandenen Licht lösten sich die Konturen beider Felsgruppen aber nicht so richtig auf. Eine kardinale Ost-Tonne und zwei laterale rote Tonnen reichten dann aber doch zur Orientierung und um den Stromversatz richtig einschätzen zu können. Die entsprechende Orientierung zum Rechtsschwenk in die St. Mary´s Road meisterten wir ebenso, so dass wir mit einer Richtfeuerlinie von 097 Grad in den St. Mary´s Pool, das Bojenfeld vor Hugh Town, dem Hauptort auf St. Mary´s, einsteuern konnten. Tagsüber wird die Richtfeuerlinie durch ein weißes Dreieck und ein orangenes St. Andrew´s Kreuz gebildet, dass wir aber auch erst mit dem Fernglas identifizieren mussten. Natürlich hatten wir auch eine Route im GPS – Plotter aktiviert, die wir aber aus Übungszwecken für die Ansteuerung nicht benutzten. Nur unser Skipper betrachtete unsere Bemühungen jetzt entspannt, weil er immer mal ein Auge auf den Bildschirm warf. Das Anlegebierchen schmeckte nach getaner Arbeit einfach hervorragend.
Am letzten Tag verlegten wir noch einmal auf einen Liegeplatz vor der gegenüber liegenden Insel Tresco. Da der Liegeplatz für Niedrigwasser nicht genügend Wassertiefe aufwies, ging dem Ausflug als letzte Übung eine Berechnung mit der Tidenkurve von Plymouth und den Anschlusswerten für St. Mary´s aus dem Reeds Nautical Almanac voraus. Wir berechneten, von wann bis wann bezogen auf die Hochwasserzeit das Wasser für uns ausreichend tief genug war. Unser Zeitfenster öffnete sich um 12.00 Uhr und wir hatten den ganzen Nachmittag Zeit. Meine mobile App auf meinem Handy zeigte allerdings ein etwas engeres Zeitfenster an. Mit Vertrauen auf den Reeds fuhren wir dennoch mit der gebotenen Vorsicht los und erreichten unseren Ankerplatz ohne Probleme. Auf dem Programm stand dann noch ein Dinghi-Ausflug auf die Insel Tresco mit einem Spaziergang zu den wunderbaren Gärten der alten Benediktiner-Abtei (Abbey Garden).
Abends lagen wir dann wieder an unserer Mooringboje im St. Mary´s Pool und feierten einen zünftigen Abschied im Restaurant des „The Atlantic“. Da das Wassertaxi seine Dienste bereits am späten Nachmittag eingestellt hatte, mussten wir mit unserem eigenen Dinghi an Land fahren. Auf der Rückfahrt gerieten wir in einen heftigen Regenschauer und wurden noch pudelnass. Der Tiefausläufer war jetzt da und es wurde nach einer Woche offensichtlich Zeit, nach Hause zu fahren. Alles in allem haben wir einen außerordentlich lehrreichen und schönen Segeltörn erlebt und das Wetter war stets mit uns. Für Anfänger wäre dieser Törn meines Erachtens allerdings wenig geeignet gewesen. Unser Skipper Bernd hat die Lily of Hamble mit großer Erfahrung und Souveränität geführt und es mit unerschöpflicher Geduld verstanden, Theorie und Praxis in uns zusammen zu führen und wirken zu lassen. Der Zuwachs auf der persönlichen Lern- und Erfahrungskurve war jedenfalls jederzeit spürbar.